DDR 1986 - Geplante Flucht in den Westen
Zwischen Ausreiseantrag und geplante Flucht
Die Stasi wusste mehr, als man dachte.
Der Verrat lauerte schon um die Ecke.Nach dem Tschernobyl-Unglück schrie man in den U-Haftzellen in Cottbus nach Amnestie, alle U-Häftlinge klopften mit ihren Bechern an den Zellentüren.
Die Wachen erfuhren zum ersten Mal, wie machtlos man sein kann, wenn alle Untersuchungshäftlinge die gleiche Parole riefen „Lasst uns raus! Amnestie für alle!“.
Am Vormittag kreiste ein Hubschrauber über Cottbus mit einem Messgerät.
Man kann es nicht genau sagen, wie sich die Botschaft in der Untersuchungsanstalt verbreitete.
Aber von der Außenwelt war man nicht ganz abgeschnitten, denn es gab exzellente und talentierte Menschen, die in der Lage waren, ein Radiogerät aus einer Florena Cremedose zu basteln.
Zwar konnte man nur LW-Radio empfangen, der gelegentlich in einen anderen Sender wechselte, was mit dem Wetter zu tun hatte, aber es funktionierte hervorragend.
Dadurch, dass die Fenster durch Sichtblenden, also milchiges Plexiglas bestand, konnte man nicht nach außen sehen.
Das Einzige, was man sah, den Blick in den Himmel.
Aber dafür gab es eine Lösung, denn man bohrte in das Plexiglas Löcher, dadurch war es möglich, sich einen kleinen Blick in die Außenwelt zu verschaffen.
Eine andere Erklärung für die neusten Nachrichten von draußen zubekommen, waren die Neuankömmlinge, die in der U-Haft verteilt wurden.
Wenn man in die U-Haft überführt wurde, durfte man seine Zivilkleidung anbehalten, die wurde natürlich vorher ordentlich abgetastet, bevor man in die U-Haft auf die Zelle gebracht wurde.
Aber es gab Experten im Verstecken von Sachen in der Kleidung, die eine Kontrolle gut überstanden.
Kleine Dioden und sonstige Kleinteile wurden vor der Verhaftung in die Sachen eingenäht und man präparierte sie so, dass sie diese Kontrollen gut überstanden.
Viele wussten schon im Voraus oder ahnten bereits oder wurden vorher gewarnt, dass sie weggesperrt werden in nächster Zeit, es war wirklich nur eine Zeit der Frage, wann sie festgenommen werden.
Die geschmuggelten Sachen ließen sich leicht verkaufen, zwar bekam man kein richtiges Geld, aber man erhielt Kärtchen mit dem Wert, wo draufstand „5 Mark“ zu Beispiel.
Bei Ersttäter im Fachjargon, Täter, die zum ersten Mal den Knast von innen sehen würden, gab es viele in der U-Haft.
Es reichte von Ausreiseantragsteller, Republikflüchtlinge bis zu Gewalttäter, die Palette war sehr unterschiedlich.
Jochen W. aus dem Raum Spremberg war so ein Ersttäter.
Aus Respekt und Datenschutz verzichtet der GERMAN ANZEIGER auf den richtigen Namen.
Jochen W. plante seine Flucht in den Westen, er wurde verraten, stellte außerdem ein Ausreiseantrag, was mit einer Gefängnisstrafe bestraft wurde, und so kam er in die U-Haft nach Cottbus.
Bei seiner Festnahme im April 1986 ahnte Jochen W. nicht, wie schnell man in ein Zuchthaus kommen kann und an Verrat, dachte er, auch nicht gleich, obwohl er es schon geahnt hatte.
Über Wochen und Monate hatte Jochen W. seine Republikflucht gefeilt und er versuchte auch in dieser Zeit, was ein großer Fehler war, sich Informationen zu beschaffen, die sehr heikel waren.
Dennoch hatte Jochen W. durch Bekannte und verschiedenen Freunden sich erkundigt, wo man einen unerlaubten Grenzübertritt riskieren kann.
Er fand jemanden, der ein ehemaliger Grenzer war.
Dieser teilte ihn mit, dass die DDR Karten nicht genau sind und große Abweichungen von der Entfernung aufweisen.
Er bat den ehemaligen Grenzer, eine ungefähre Skizze zu zeichnen, damit er verstehen konnte, wie eine Grenzanlage gesichert wird.
Das war keine gute Idee, obwohl Jochen W. mehrmals gewarnt wurde, riskierte er es dennoch, an diese Information zu kommen.
Dieser ehemalige Grenzer, war kein Grenzer, er war ein eingeschleuster Stasimitarbeiter, der eine Gruppe unterwandern wollte.
Jochen W. wurde schon sehr lange observiert von der Stasi, denn er hatte gute Kontakte in den Westen.
Vieles, was in seiner 1-Zimmer-Wohnung stand, wurde von der Verwandtschaft mitgebracht.
Jochen W. war sich nicht ganz sicher, wie eine DDR-Grenzanlage aufgebaut ist, seine Westverwandtschaft konnte nur aus dem Gedächtnis erzählen und ihn eine ungefähre Zeichnung erstellen.
Dabei unterschieden sich die Darstellungen von der Verwandtschaft und die Erfahrungen des Grenzers deutlich.
Was Jochen W. nicht wusste, der Grenzer, der sich so ausgab, einer gewesen zu sein, machte falsche Skizzen.
Ein Freund warnte ihn immer wieder, dass diese Skizzen, die dieser Grenzer erstellte, falsch sind.
Als er das erfuhr, wurde Jochen W. sehr misstrauisch und sagte beim nächsten Treffen, dass er jetzt genügend Informationen hätte und hatte sich bedankt.
Da Jochen W. schon mehrmals gewarnt wurde, aber diese Warnungen nicht ernst genommen hatte am Anfang, wurde er ab da an sehr vorsichtig.
Alle Skizzen, die der angebliche Grenzer und seine Westverwandtschaft gezeichnet haben, hat er vernichtet, genauso all seine Notizen hatte er vernichtet, damit diese Informationen nicht gegen ihn verwendet werden können, für den Fall, dass er verhaftet wird.
Ab sofort nur noch mündlich und außerhalb der Wohnung sollten Informationen ausgekundschaftet werden.
Ein alter Freund, den er aus seinen frühen Kindertagen kannte, mahnte in zur Vorsicht, man könne niemanden trauen.
Das nahm sich Jochen W. sehr zu Herzen, und sein alter Freund gab ihm Tipps, an wem er sich noch wenden könne.
Durch seinen Freund bekam er mitgeteilt, dass er beobachtet würde von der Stasi, man habe ihn im Visier.
Diese Warnung war ernst gemeint und Jochen W., stellte daraufhin sein Vorhaben über die Grenze zu flüchten ein.
Sein Freund gab ihm ein Tipp, er solle das Ganze auf dem normalen Weg regeln, indem er einen offiziellen Ausreiseantrag stellen solle.
Er würde zwar eingesperrt werden, aber er könne sein Leben schonen, ohne sein Leben zu riskieren, an der Grenze erschossen zu werden.
Also stellte er offiziell ein Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland.
Dann schrieb er mehrere Briefe an seine Verwandtschaft im Westen, in der Hoffnung, dass einer diese Briefe in den Westen gelangen würde, für den Fall, dass er verhaftet wird.
Er nahm seine Schreibmaschine und schrieb damit sein Ausreiseantrag und die Briefe an seine Verwandtschaft im Westdeutschland.
Da er jetzt wusste, dass er im Fokus der Stasi stand, war mit einer baldigen Festnahme zu rechnen.
Die Briefe, die er in den Westen abgesendet hatte, verteilte er in der angrenzenden Umgebung in den Briefkästen.
Ein Brief würde immer durchkommen, sagte er sich.
Eine Mehrfachausfertigung seines Ausreiseantrags brachte er zwei Tage später in den Briefkasten.
Jochen W. war gelernter Elektroniker und arbeitete unter der Woche in Hoyerswerda bei VEB Robotron-Elektronik und Zeichengeräte Hoyerswerda.
Auch die Mitarbeiter bei VEB Robotron-Elektronik und Zeichengeräte Hoyerswerda, wurden von der Stasi beobachtet.
Es dauerte nicht sehr lang, da standen am frühen Morgen die Polizei und 3 Herren von der Stasi an seiner Wohnungstür.
Die Festnahme dauerte nur wenige Minuten, seine Wohnung wurde noch im Beisein durchsucht, dann brachte man ihn nach Cottbus in die U-Haft.
Dort wurde Jochen W. vernommen von der Stasi.
Keine zwei Tage in der Cottbuser U-Haft wurde er in die Stasi-Untersuchungshaft in Cottbus verlegt.
So, oder so, Jochen W. wurde außerdem verraten, aber das ahnte er bereits.
In der Stasi-Untersuchungshaft wurden ihm versuchte Republikflucht und der Ausreiseantrag angelastet.
So erfuhr er auch, dass der angebliche Grenzer Kopien gemacht hat, mit einer Kamera.
Alle Gespräche, die er geführt hatte, mit dem Grenzer und anderen angeblichen Helfern, sie wussten, über sein Vorhaben Bescheid.
Bei seiner Vernehmung sagte Jochen W., dass er das schon geahnt hatte.
Bei der Vernehmung durch einen Stasi-Offizier, wollte man alles aus ihm herauspressen, jedoch blieb er standhaft und die Art der Bestrafungen im Stasi-Untersuchungsgefängnis, all diese Repressalien waren ein Zeichen, dass die Stasi bei ihm keine Chance hatten.
Nach einigen Wochen gaben sie auf und Jochen W. wurde zurückverlegt in das Cottbuser Untersuchungsgefängnis.
Jochen W. wurde zu 2 Jahre und 3 Monate verurteilt.
Da er hartnäckig war, sein Ausreiseantrag nicht zurückgezogen hatte und im Westen der Fall bekannt wurde, konnte er freigekauft werden.
Nach nicht einmal 1 Jahr und 2 Monate wurde Jochen W. nach Karl-Max-Stadt in das Gefängnis gebracht, wo er dann mit einem Bus an die Westdeutsche Grenze gefahren wurde.
Dort wartete schon der Westdeutsche Bus, in dem stieg er ein und gelangte somit auf dem normalen Weg in den Westen.